Hauptregeln - Hilfsregeln


Die beiden Hauptregeln

Aus den drei Axiomen leitet Cohn ein Netz von 'Verhaltensregeln' ab. Dies ist hier deshalb in Anführungszeichen gesetzt, weil deutlich werden soll, daß Regeln auf dem Hintergrund der Axiome kein Korsett für eine Gruppe sein können, sondern vielmehr Wegmarkierungen, Stützen im Gruppenprozeß sind.

Die beiden zentralen Postulate sind (Zitiert nach Cohn):

  1. Sei Dein eigener Chairman

  2. und

  3. Störungen haben Vorrang


Chairman ist hier nicht übersetzbar, da es einerseits "Leiter meiner selbst" und andererseits "Vertreter der Interessen aller in der Gruppe" bedeutet. Das individuum wird als Konglomerat von verschiedenen Bedürfnissen, Wünschen und Bestrebungen angesehen.

Chairman meiner selbst sein bedeutet also meine körperlichen Empfindungen, meine Wahrnehmungen, Phantasien, Urteile, Wertungen, meine wechselnden Gefühle bewußt wahrzunehmen und als Teil meiner selbst zu akzeptieren. Das 'Ich soll' gegen das 'Ich möchte' abzuwägen.
Chairman der Gruppe sein bedeutet zu versuchen, andere möglichst vorurteilsfrei wahrzunehmen, ihnen ebenso wie sich selbst Gefühle, Empfindungen etc. zuzugestehen, auch dann, wenn diese von den eigenen verschieden sind. es bedeutet aber nicht, sich von vornherein selbst zu beschränken aus Rücksicht auf andere Gruppenmitglieder - diese sind ebenfalls ihr eigener Chairman.


In diesem Zusammenhang gewinnt auch die zweite Regel Gewicht: 'Störungen haben Vorrang'. Die Gruppe wird nur dann als voll funktionsfähig angesehen, wenn alle Mitglieder teilnehmen können, 'anwesend' sind.

Hierbei bedient sich Cohn der Vorstellung der 'unerledigten Handlungen' aus der Gestalttherapie. Alle Impuls, Gefühle, Bedürfnisse, die nicht abgeschlossen sind, nicht erledigt oder ausgelebt sind, bestehen in uns unterschwellig weiter und beanspruchen im "Hier und Jetzt" die Aufmerksamkeit des individuums. So wird ein Druck erzeugt, der ein reales Erleben der Gegewart verzerrt - dir Reaktionen des Individuums entsprechen den alten Gefühlen oder antizipieren diese. Sie werden kann in der Hier und Jetzt Situation aktualisiert. Das bewußte Erleben ist durch sie blockiert. Das Individuum lebt gleichsam in einer Vergangenheit oder einer Zukunft, das augenblickliche Verhalten ist von diesen Gefühlen determiniert, ohne das es den Möglichkeiten der Person angemessen wäre. Sie ist ganz oder teilweise abwesend, erlebt daher das Hier und Jetzt ebenfalls nur ausschnittweise - die Information der augenblicklichen Situation ist lückenhaft. - und somit sind die Verhaltensmöglichkeiten eingeschränkt. Wird dieser Zustand als Störung angemeldet, kann er bewußt bearbeitet und auf diese Weise der Bezug zum Hier und Jetzt wieder hergestellt werden. Die Erfahrung hat gezeigt, daß angemeldete Störungen oft symptomatisch für eine Störung der Gruppe sein können. Bei den anderen TeilnehmerInnen der Gruppe ist die Störung aber nicht formuliert worden oder wird nicht formuliert, aus Angst davor, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen oder für das gezeigte Verhalten sanktioniert zu werden. In diesen Fällen steigt das Unbehaben der Gruppe u.U. bis zur totalen Unfähigkeit der TeilnehmerInnen sich aufeinander oder das Thema zu beziehen.
 

Die Hilfsregeln

Um diese beiden zentralen Postulate ranken sich Hilfsregeln, die nach Cohn "fast immer nützlich" bzw. "situationsspezifisch sind. Wichtig ist, daß die Hilfsregeln taktvoll und nicht diktatorisch angewandt werden. jede Regel kann ad absurdum geführt werden."

Gemeinsam haben die Hilfsregeln das Ziel, die Verantwortung der einzelnen TeilmehmerIn in der Gruppe zu verdeutlichen und zu unterstreichen. Sie "sind Hilfestellungen, die der Verwirklichung der Postulate dienen und Erfahrungsgemäß in interaktionellen Gruppen nützlich sind. Sie sind jedoch keine absoluten Größen. ichr Verabsolutierung ist Mißbrauch und dient dem Geist, den sie bekämpfen möchten."