Aus den drei Axiomen leitet Cohn ein Netz von 'Verhaltensregeln' ab. Dies ist hier deshalb in Anführungszeichen gesetzt, weil deutlich werden soll, daß Regeln auf dem Hintergrund der Axiome kein Korsett für eine Gruppe sein können, sondern vielmehr Wegmarkierungen, Stützen im Gruppenprozeß sind.
Die beiden zentralen Postulate sind (Zitiert nach Cohn):
Chairman ist hier nicht übersetzbar,
da es einerseits "Leiter meiner selbst" und andererseits "Vertreter
der Interessen aller in der Gruppe" bedeutet. Das individuum wird als
Konglomerat von verschiedenen Bedürfnissen, Wünschen und Bestrebungen
angesehen.
Chairman meiner selbst sein bedeutet also meine körperlichen Empfindungen, meine Wahrnehmungen, Phantasien, Urteile, Wertungen, meine wechselnden Gefühle bewußt wahrzunehmen und als Teil meiner selbst zu akzeptieren. Das 'Ich soll' gegen das 'Ich möchte' abzuwägen.
Chairman der Gruppe sein bedeutet zu versuchen, andere möglichst vorurteilsfrei wahrzunehmen, ihnen ebenso wie sich selbst Gefühle, Empfindungen etc. zuzugestehen, auch dann, wenn diese von den eigenen verschieden sind. es bedeutet aber nicht, sich von vornherein selbst zu beschränken aus Rücksicht auf andere Gruppenmitglieder - diese sind ebenfalls ihr eigener Chairman.
In diesem Zusammenhang gewinnt
auch die zweite Regel Gewicht: 'Störungen haben Vorrang'. Die Gruppe
wird nur dann als voll funktionsfähig angesehen, wenn alle Mitglieder
teilnehmen können, 'anwesend' sind.
Hierbei bedient sich Cohn der Vorstellung
der 'unerledigten Handlungen' aus der Gestalttherapie. Alle Impuls, Gefühle,
Bedürfnisse, die nicht abgeschlossen sind, nicht erledigt oder ausgelebt
sind, bestehen in uns unterschwellig weiter und beanspruchen im "Hier und
Jetzt" die Aufmerksamkeit des individuums. So wird ein Druck erzeugt, der
ein reales Erleben der Gegewart verzerrt - dir Reaktionen des Individuums
entsprechen den alten Gefühlen oder antizipieren diese. Sie werden
kann in der Hier und Jetzt Situation aktualisiert. Das bewußte Erleben
ist durch sie blockiert. Das Individuum lebt gleichsam in einer Vergangenheit
oder einer Zukunft, das augenblickliche Verhalten ist von diesen Gefühlen
determiniert, ohne das es den Möglichkeiten der Person angemessen
wäre. Sie ist ganz oder teilweise abwesend, erlebt daher das Hier
und Jetzt ebenfalls nur ausschnittweise - die Information der augenblicklichen
Situation ist lückenhaft. - und somit sind die Verhaltensmöglichkeiten
eingeschränkt. Wird dieser Zustand als Störung angemeldet, kann
er bewußt bearbeitet und auf diese Weise der Bezug zum Hier und Jetzt
wieder hergestellt werden. Die Erfahrung hat gezeigt, daß angemeldete
Störungen oft symptomatisch für eine Störung der Gruppe
sein können. Bei den anderen TeilnehmerInnen der Gruppe ist die Störung
aber nicht formuliert worden oder wird nicht formuliert, aus Angst davor,
Verantwortung für sich selbst zu übernehmen oder für das
gezeigte Verhalten sanktioniert zu werden. In diesen Fällen steigt
das Unbehaben der Gruppe u.U. bis zur totalen Unfähigkeit der TeilnehmerInnen
sich aufeinander oder das Thema zu beziehen.
Die Hilfsregeln
Um diese beiden zentralen Postulate ranken sich Hilfsregeln, die nach Cohn "fast immer nützlich" bzw. "situationsspezifisch sind. Wichtig ist, daß die Hilfsregeln taktvoll und nicht diktatorisch angewandt werden. jede Regel kann ad absurdum geführt werden."
Gemeinsam haben die Hilfsregeln
das Ziel, die Verantwortung der einzelnen TeilmehmerIn in der Gruppe zu
verdeutlichen und zu unterstreichen. Sie "sind Hilfestellungen, die
der Verwirklichung der Postulate dienen und Erfahrungsgemäß
in interaktionellen Gruppen nützlich sind. Sie sind jedoch keine absoluten
Größen. ichr Verabsolutierung ist Mißbrauch und dient
dem Geist, den sie bekämpfen möchten."